Seit Jahren höre ich, dass die coolen Kids nicht mehr auf Facebook sind. Das kann sein. Das räume ich ein. Aber das ist auch gar nicht so wichtig.
Denn die Social Media Welt hat mit ello wieder ein neues Netzwerk, das sie fortan durch die Medien treiben kann.
Was es kann, wie es so ist, wie man die Einsamkeit dort bekämpft und warum die Euphorie nur in kleinen Dosen zu genießen ist, lest ihr meinem heutigen Beitrag. Ich hoffe, es gibt Euch auch Aufschluss darüber, wie strategisch dieses Netzwerk gelaucht wurde und wie ihr das für Euch selbst adaptieren könnt.
Erster Akt. Ein Gerücht kommt auf.
Es war im Frühsommer 2014, da habe ich auf verschiedenen Veranstaltungen gehört, dass ja Facebook total böse ist, weil die ja Daten sammeln und wir es alle ziemlich doof finden, dass wir als Nutzer verscherbelt werden. Also einfach uncool. Das war nicht ganz neu für mich.
Die Kids wären ohnehin schon weg und nur mehr auf Whatsapp und Snapchat.
Im gleichen Atemzug wurde mir dann geflüstert, dass es da ja jetzt eine total schöne Alternative gibt, die das nicht machen. Die sind also werbefrei und schöner, aufgeräumter soll es auch sein. Aber es ist alles noch „invitation only“ – also nur mit Einladung reinzukommen. Es wurde also fleißig herumgefragt, wer denn eine ello invite hätte. Eine einzige Person hatte invites und die waren schon alle weg, also leider Pustekuchen.
Es hieß weiter warten und immer wieder mal auf Twitter #ello und #elloinvite abzusuchen und herumzufragen, ob denn bitte jemand eine Einladung in das Netzwerk hätte. Da sich aber die Wenigsten Tag und Nacht damit beschäftigen einem Gerücht nachzujagen, geriet es etwas in Vergessenheit.
Bei jedem Branchentreff war es aber immer ein heißes Thema um zu zeigen, dass man am Puls der Zeit ist und noch eines von den hippen Kids. Ich gebe zu, zu dieser Gruppe habe ich noch nie dazugehört.
Ich hab mich einfach mal auf der ello-Webseite eingetragen, um eine invite zu bekommen. Mehr als eine Bestätigung, dass meine Adresse jetzt gespeichert wurde, habe ich nie erhalten. Gut Ding braucht Weile also. Ich hatte ja alle Zeit der Welt.
Zweiter Akt. Der Schnupfen verbreitet sich.
Nachdem es einige Wochen gedauert hatten und die ersten nebligen Gerüchte abklangen, war mein Netzwerk plötzlich voll mit Menschen, die über ello schwärmten.
Es sei so schön.
Und es sei so gut aufgeräumt.
Und ja, es sei so genial gemacht, weil es die wichtigen Elemente von Twitter hätte, aber auch einige Netzwerk-Aspekte, die man schon von Facebook und Co kannte.
Und die hätten ein total tolles Manifest veröffentlicht.
Überhaupt würde binnen Tagen Facebook quasi nicht mehr interessant sein und nur noch ello existieren, prophezeiten manche da.
Aha, dachte ich. Eine Invite hatte ich immer noch nicht bekommen.
Dritter Akt. Der Dragqueen-Vorfall oder auf Fehler des Konkurrenten aufspringen.
Vermutlich hatte ello nur auf einen Fehler des blauen Riesen gewartet und er kam pünktlich:
Auf Facebook wurden einige Dragqueens gesperrt, weil ihre Personenaccounts nicht auf ihren vollen Namen angemeldet waren, sondern auf Ihre schillernden Künstlernamen. Das verstößt gegen ihre Spielregeln, befand Facebook, warf sie raus und schon waren die Dragqueens auf ello.
Auf ello ist es nämlich egal, mit welchem Namen man sich anmeldet. Also ob man sich Tuttifrutti42, spot23net oder Sandra Staub nennt.
Diese Entscheidung hat Facebook bitter bereut. Viele aus der Szene sind sofort mit Ihren Idolen abgewandert nach ello-Land. Verständlich. Auf Nimmerwiedersehen.
Menschen möchten sein, wo Ihren Peer-Group ist, also wo Gleichgesinnte sind. Es macht einfach mehr Spaß.
Innerhalb einer gewissen Szene war Facebook also wirklich quasi über nach „out“, aber sowas von „out“. Und zwar mit Recht.
Vierter Akt. Die Medienrolle.
Nach diesem Vorfall gab es die ersten Berichte in Sparten-Magazinen darüber, dass es endlich eine Alternative gibt. Die Lobgesänge der Early Adopters wurden wiederholt und die Menschen, die schon Anfang des Sommers davon schwärmten, wurden zitiert.
Der Antrieb von Early Adopters.
Falls es jemanden interessiert: Diese Anerkennung über das „Ich war ja schon ganz am Anfang dabei als es noch cool war“ ist die Antriebsfeder dieser Early Adopters. Wer es also versteht, hier mit den Eitelkeiten zu spielen, der hat diese immens wichtig Gruppe gewonnen. Sie ist aber nicht zu halten, denn sie sind heute da und morgen dort. Ich hatte drei Jahre lang im Umfeld des Automotive-Marktes mit den coolen Early Adaptern zu tun und kann sagen: Man muss sie lieben. Man muss sie gut pflegen. Man muss ihnen zuhören und man muss sie gehen lassen können. Und beizeiten tut Liebe weh. Dann wendet man sich dem Markt zu und verdient Geld.
Nun waren also die Medien auf den Zug aufgesprungen. Erst die Fachmagazine, dann die jugendlastigen Magazine der Tageszeitungen. Binnen weniger Wochen hatte es den Anschein, also ob quasi mit dem Presseausweis, eine ello-invite einher ging.
Mir war also klar: Ich sollte es mir wenigstens mal ansehen, um was dazu sagen zu können. Immerhin wurde es schon öfter als „Facebook-Killer“ beschrieben und darüber sollte ich Bescheid wissen.
Fünfter Akt. Late Adopters und die Early Majority.
Da inzwischen schon einige meiner direkten Kontakte massiv auf Twitter und Facebook posteten, dass sie noch ello-invites hätten, und man sich melden sollte, hab ich mir dann relativ anonym über Twitter eine Einladung eines relativ fremden, aber sehr netten Mitmenschen besorgt, den ich schon einige Wochen immer wieder mal gelesen hatte. Warum nicht, dachte ich mir.
Man sieht also schon, ich bin im besten Fall ein Late Adopter. Vermutlich schon eine der early majority. Das sind quasi die, die nur kommen, wenn schon wirklich einige drüber reden, manche Medien schon drüber geschrieben haben und die sich dann einen Ruck geben, es halt auch mal zu probieren. Aber genau das ist die kritische Masse beim Aufbau eines Netzwerkes. Ohne diese Early Majority, also diese frühe Schwungmasse, bekommt man so etwas wie ein Netzwerk nicht zum Laufen.
Dazu empfehlenswertes Lesematerial:
Soziale Netzwerke: »Early Adopter« und die »Late Majority« von Herbert Peck
Sechster Akt. Kontaktsuche.
Binnen weniger Minuten hatte ich mich angemeldet. Und ja. Was soll ich groß sagen. So sieht es aus, wenn man reingeht. Alle Screenshots sind selbstverständlich anonymisiert. Das Logo von ello ist ganz witzig. An diese „Schrift“ habe ich mich bisher nicht gewöhnen können.
So sieht mein Profil dort aus. Wie immer kann man Profilbild und Namen einstellen. Oben gibt es ein relativ funktionsfreies Titelbild, das man nur beim Scrollen nach oben sieht. Ich finde, man kann durchaus ohne starten.
In den Einstellungen – wie immer über ein Zahnrad auffindbar – kann man auch entscheiden, ob man möchte, dass sein Profil analysiert wird oder nicht.
Wer sich die Einzelnen Neuigkeiten ansieht, dem fällt auf:
- Hier gibt es Fett- und Kursivschrift.
- Man kann zu Text auch Bilder hochladen.
- An jemanden schreiben funktioniert mit dem @,das wir aus Twitter kennen.
- Man sieht, wie oft ein Betrag angesehen wurde.
- Ebenso gibt es Kommentare.
Auf ello kann man unterscheiden, ob die Kontakte, die man findet, echte Freunde sind, also „friends“ oder ob sie halt ganz interessant zum zuhören sind, also „noise“. Das ist eine ganz intelligente Art Vorfilter. Denn „Friends“ werden auf der Startseite angezeigt. „Noise“ nur, wenn man die Noise-Seite anklickt.
Es gibt auf ello auch eine Suche. Damit habe ich aber noch nie jemanden gefunden. So gesehen, ja.
Zum Einen sind meine Peers, also die Menschen, denen ich gerne zuhöre, vermutlich noch nicht da. Zum Anderen vermute ich, dass diese Suche eventuell noch verbessert wird.
Nachdem ich schon einige Wochen auf ello war und immer noch bei gut 3 friends und 4 noise stand, war ich etwas unzufrieden. Denn ich konnte keine neuen relevanten Kontakt dort finden.
Schließlich heiterten mich nur noch Fotos und Beträge von befreundeten Bloggern auf ello auf, da trat plötzlich Klaus Eck (@KlausEck) mit einem Tipp in mein Leben: Ich könnte doch unter http://lukedurrant.com/ello-co-friends/index.php meine Twitter-Kontakte mit meinen ello Kontakten abgleichen.
Gute Sache! Herzlichen Dank für den Tipp!
Seitdem habe ich auf Twitter einige meiner Kontakte rausgeschmissen, weil sie mich nicht so wirklich interessieren.
Natürlich habe ich auch einige echt nette Leute gefunden, die die Suche so vorher nicht ausgespuckt hat. Warum auch immer.
Sehr oft habe ich aber komplett verwaiste Seiten gefunden, die offensichtlich nur angelegt wurden „um mal zu schauen“. Dass ich mir solche nicht in den Freundeskreis nehme, ist auch klar. Ich will ja Neuigkeiten sehen, nicht hohe Zahlen bei den Leuten, denen ich folge.
Siebter Akt. Kommunikation.
Inzwischen habe ich also einige spannende Menschen gefunden. Wir schreiben und teilen Inhalte. Weil es ziemlich kurios wäre, wenn ich Blogbeiträge zum Thema Facebook auf ello teilen würde, verkneife ich mir das. Aber es gibt ja zum Glück auch andere interessante Dinge.
ello ist permanent beta.
Es gibt auf ello eine relativ lange „Feature List“ auf der die Macher aufgeschrieben haben, welche Möglichkeiten sie gerade noch einbauen. Es scheint ihnen klar zu sein, dass ello nicht perfekt ist, was ich schon mal einen sehr ehrlich finde. Es ist alles „permanent beta“. Also ständig unvollständig und der Erweiterung unterworfen. So wie auch Evolution nie aufhören sollte.
Die Masse macht den Erfolg.
An der Vernetzung von Kontakten hängt übrigens der Erfolg von Menschen-Netzwerken wie Friendster, Myspace, Facebook, Google+, ello und co. Findet man seine Freunde, seine Arbeitskollegen, seine Bekannten, dann bleibt man dabei. Und dann teilt man auch auf diesen Plattformen seinen Inhalte. Ob ello das gelingen wird ist das eine. Ob es das möchte, etwas anderes.
Fazit.
Einige Zeitungen und Magazine haben bei Recherchen entdeckt, dass ello nicht aus purer Menschlichkeit und Sinn für das Schöne entstanden ist. Es sind Designer, die sich mithilfe von Investoren einen Spielplatz mit viel Weißraum geschaffen haben. Jeder Investor möchte sein Geld mindestens zurück, wenn nicht sogar verdoppelt haben.
Noch steht in allen Statements der Macher, dass sie keine Werbung schalten möchten und auch, dass sie den Nutzern freistellen, ob die Datenanalyse mitläuft. Sobald sich das ändern würde, würden sie selbst auch das Netzwerk verlassen. Sie würden lieber einzelne Features kostenpflichtig anbieten.
Jetzt eine kurze Frage: Wie viele Menschen haben sich bei Farmville damals Tiere gekauft, weil es cool aussah? Genau. Nicht die Mehrheit. Aber es waren genug, dass man Farmville rein technisch bis heute noch kostenfrei spielen könnte. Es interessiert nur niemanden mehr, weil die Zeit für virtuelle Farmen vorbei ist.
Einige Tech-Kollegen und Netzaktivisten haben schon angemahnt, dass es im Prinzip wieder nur ein nachgebautes Facebook ist. Die Daten liegen zentral abgespeichert in Boulder, Colorado, USA. Es ist also unwahrscheinlich, dass mit ello die komplette Freiheit unserer Daten einhergeht.
Woraus folgt: ello wird vermutlich die Welt nicht revolutionieren. Maximal das Design. Wenn halt diese „Schrift“ nicht wäre. Ja, ich finde die wirklich extrem grauenvoll und es ist mir egal, was die Designfuzzis sagen. Echt.
Was denkt Ihr darüber: Nur wieder ein neues Nischennetzwerk oder eine ernsthafte Alternative? Kann es ein Facebook-Killer werden? Wer von Euch ist schon auf ello? Wer von Euch, möchte es unbedingt und braucht noch eine #elloInvite? Schreibt es gerne in die Kommentare!
Eure
Sandra
Foto: NASA / gefunden über New Old Stock